»Wie das Bier im Sommer und Winter auf dem
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Das Reinheitsgebot - der Höhepunkt einer langen Rechtsentwicklung:
Das Reinheitsgebot ist die älteste heute noch gültige lebensmittelrechtliche Vorschrift der Welt. Zugleich ist es der Höhepunkt einer sich über mehrere Jahrhunderte hinweg erstreckenden rechtlichen Entwicklung in Deutschland, bei der es den jeweiligen Obrigkeiten und Instanzen darum ging, durch entsprechende Verordnungen die Qualität des Bieres, ein Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung, zu verbessern. Solche Vorschriften lassen sich übrigens außerhalb Deutschlands bis weit in das vorchristliche Altertum zurückverfolgen.
Auf deutschem Boden gibt es den ersten urkundlich belegten Hinweis aus der Zeit des Kaisers Barbarossa. Dieser gab im Jahr 1156 der Stadt Augsburg eine neue Rechtsverordnung, die berühmte »Justitia Civitatis Augustensis«, die das älteste deutsche Stadtrecht ist. Und schon darin ist vom Bier die Rede: »Wenn ein Bierschenker schlechtes Bier macht oder ungerechtes Maß gibt, soll er gestraft werden...« Die Strafe war übrigens hart und betrug 5 Gulden, beim dritten Verstoß wurde dem brauenden Wirt die Lizenz entzogen.
Um die Qualität des Bieres kümmerten sich schon 1363 auch die Münchener. Sie übertrugen 12 Mitgliedern des Stadtrates die Bieraufsicht. Und 1447 verlangten sie ausdrücklich von den Brauern, dass sie zum Bierbrauen nur Gerste, Hopfen und Wasser verwenden dürften »...und sonst nichts darein oder darunter tun oder man straffe es fuer valsch«.
Herzog Albrecht IV. bestätigte 40 Jahre später diese Forderung des Münchener Stadtrates, denn er hatte erfahren, dass im Norden Deutschlands das Biergeschäft vor allem deshalb blühte, weil die dortigen Zünfte dafür sorgten, dass gutes Bier gebraut wurde.
Eine weitere Vorschrift ist aus der Stadt Nürnberg bekannt. Dort durfte auf Beschluss des Stadtrates ab 1393 nur noch Gerste zum Brauen verwendet werden. Die Münchener Stadtverwaltung befahl rund 30 Jahre später, 1420, das Bier nach dem Brauen eine Zeit lang zu lagern.
Die Regensburger beauftragten 1447 ihren Stadtarzt, das in der Stadt gebraute Bier regelmäßig zu kontrollieren und ein besonderes Augenmerk darauf zu haben, was an Zutaten in das Bier gegeben wurde. Nach den schlechten Erfahrungen des Stadtarztes brachten sie 1453 eine Brauordnung heraus.
Wenig später, im Jahr 1493, folgte Herzog Georg der Reiche nach und erließ für sein gesamtes Herzogtum Bayern-Landshut, das altbayerische Kerngebiet, diese Vorschrift: »Die Bierbrauer und andere sollten nichts zum Bier gebrauchen denn allein Malz, Hopfen und Wasser, noch dieselben Brauer, auch die Bierschenken und andere nichts anderes in das Bier tun - bei Vermeidung von Strafe an Leib und Gut.«
Alle diese Verordnungen wurden kontrolliert: Bierbeschauer besuchten regelmäßig die Brauer, prüften und versuchten das Bier. Auch sie selbst waren strengen Bestimmungen unterworfen und durften höchstens sechs Prüfungen am Tag vornehmen. Außerdem durften sie an Prüfungstagen weder Speisen zu sich nehmen, die die Geschmacksnerven hätten beeinträchtigen können, noch durften sie Wein trinken oder gar rauchen.
Verordnungen und Kontrollen trugen nachweislich zur stetigen Qualitätsverbesserung des Bieres bei. Auf diese erfolgreiche Entwicklung ist es auch zurückzuführen, dass am 23. April 1516 beim bayerischen Landständetag - eine Zusammenkunft von Landadel und Ritterschaft - in Ingolstadt durch Herzog Wilhelm IV. das Reinheitsgebot für alle bayerischen Brauer erlassen wurde.
Waren bis dahin die norddeutschen Brauer aufgrund ihrer strengen Zunftordnung mit ihren Bierqualitäten unerreicht, so änderte sich das. Bayern holte schnell auf, ein Vorteil des süddeutschen Bier - und Braurechts. Hierzu muss man wissen, dass es in Deutschland hinsichtlich des Bieres zwei unterschiedliche Rechtssysteme gab:
Im Norden galt Bier während des Mittelalters als »bürgerliche Nahrung« und unterstand bürgerlichem Recht, das sich in den Städten entwickelt hatte, und das ihre Bürger erfolgreich gegen Adel und Geistlichkeit vertraten. Deshalb waren hier das Bier betreffende Verordnungen in erster Linie Sache der Stadtverwaltungen und der Zünfte.
Im Süden hingegen nahmen die Landesherren direkten Einfluss auf alle Verordnungen, die das Bier betrafen. Das wirkte sich beim Reinheitsgebot besonders positiv aus, denn es galt sofort und flächendeckend in ganz Bayern. Steuerliche Gesichtspunkte standen bei diesem Erlass nicht zur Diskussion. Eine Steuer für einheimisches Bier wurde in Bayern auch erst wesentlich später, nämlich 1572, eingeführt. Das strenge Gesetz setzte hingegen einen verbindlichen Qualitätsstandard für ganz Bayern und schob fortan allen Verfälschungen und Panschereien einen Riegel vor. Das bayerische Reinheitsgebot fand nach und nach überall in Deutschland Freunde und Anwendung, auch wenn man die bayerische Vorschrift nicht einfach übernommen hat. Man meinte das gleiche wie in Bayern, aber man sagte es aus unterschiedlichen Gründen nicht so präzise.
So etwa in der neuen Hamburger Brauordnung von 1695, in der die Brauer am süddeutschen Beispiel ermahnt werden, »...dass sie gutes, taugliches Bier brauen, äußersten Fleiß sich angelegen sein lassen, mit untadeligem Korne sich versehen, zu jedem Brau dessen willige Maße tun...«.
Das deutsche Brauhandwerk: Hohe Anforderungen und ausgeprägtes Selbstbewusstsein
Es verdient in diesem Zusammenhang auch festgehalten zu werden, dass die Grundvoraussetzungen für die Aufnahme in das Brauhandwerk im 15. und 16. Jahrhundert außergewöhnlich hoch gesteckt waren: Hierzu gehörte nämlich nicht allein – wie in den anderen Handwerken – der Nachweis der ehelichen Geburt und der Besitz des Bürgerrechts. Aufgrund des kapitalintensiven Charakters des Brauhandwerks verliehen z.B. die bayerischen Herzöge, die auch über den Braubann verfügten, das Recht, ein Brauhaus zu errichten und zu führen, nur an einflussreiche und wohlhabende Bürger, die Grundstücksbesitzer waren.
Diese herrschaftlich privilegierte Gruppe von Brauherren, die die Brauanlagen im Erbgange besaß, betrieb das Brauen in der Regel nicht selbst, sondern bekleidete Ämter in der Stadt. Die Brauherren beschäftigen in ihren Braustätten zumeist Lohnknechte, Gesellen und Braumeister, von denen viele das subjektive Braurecht besaßen.
Aber auch innerhalb dieser nur handwerklich tätigen Mitglieder des Gewerbes vollzog sich in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die Herausbildung eines privilegierten Personenkreises, jenen der Braumeister. Diese schirmten ihren Stand streng ab und setzten erschwerte Eintrittsbedingungen durch.
Die strikte Befolgung der Bestimmungen des Reinheitsgebotes ist wohl nicht zuletzt auf das ausgeprägte Standes- und Selbstbewusstsein dieses handwerklichen Zweiges zurückzuführen. Wo es nicht - wie in Bayern - durch die Landesherren verliehene Privilegien gab, haben die strengen Bestimmungen der Zunft und das Selbstverständnis ihrer Mitglieder dazu beigetragen, dass die jeweiligen Brauverordnungen strikt befolgt worden sind.
Wenn man die rechtliche Entstehungsgeschichte des Reinheitsgebotes und die grundlegenden Bedingungen für den Aufstieg und Entwicklung des deutschen Brauhandwerks kennt, wundert es nicht, dass das Reinheitsgebot auch in das verfassungsmäßige deutsche Recht übergegangen und von den deutschen Brauern bis heute konsequent eingehalten worden ist. Die Qualität des nach dem Reinheitsgebot gebrauten Bieres war derart überzeugend und der Stolz auf die vollendete Beherrschung der Braukunst mit nur vier Rohstoffen zu sehr ausgeprägt, als dass dieses Gesetz hätte ein Opfer der Geschichte werden können.
Mit der Vereinheitlichung des Rechts haben nach der Reichsgründung 1871 dann auch andere Staaten das Reinheitsgebot übernommen. Baden übernahm das Reinheitsgebot 1896, Württemberg im Jahr 1900, wenngleich man auch dort schon im 18. Jahrhundert entsprechende Vorschriften erlassen hatte. Ab 1906 galt es im gesamten Reichsgebiet. Es wurde im Biersteuergesetz verankert, in dem es heißt, dass Bier nur aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt werden darf.
Auch die Weimarer Republik übernahm das Reinheitsgebot. Bayern machte 1918 seine Zugehörigkeit zur Republik u.a. davon abhängig, dass das Reinheitsgebot weiter im gesamten Reichsgebiet gelte.
In der Bundesrepublik Deutschland findet das Reinheitsgebot seine rechtliche Begründung im Biersteuergesetz. Hierin ist festgelegt, dass zur Bereitung von Bier nur Hopfen, Malz, Wasser und Hefe verwendet werden dürfen ausserdem ist bei obergärigen Bieren der Zusatz von Zucker erlaubt. Darüber hinaus ist im Biersteuergesetz aber auch der Verkehr mit Bier geregelt (§ 10). Danach dürfen unter der Bezeichnung Bier nur solche Getränke in Verkehr gebracht werden, die gegoren sind und den Bestimmungen des § 9 Biersteuergesetz entsprechen.
Bis 1987 durften deutsche Brauereien nur die genannten Zutaten für die Bierproduktion verwenden. Gleichzeitig war es auch ausländischen Brauereien nicht erlaubt, Produkte unter der Bezeichnung "Bier" auf dem deutschen Markt anzubieten, die nicht nach den Vorschriften des Deutschen Reinheitsgebotes gebraut worden waren. Im Zuge der Harmonisierung der Märkte in der Europäischen Gemeinschaft drängte die EG darauf, die Herstellungsvorschriften für Bier in den Mitgliedsländern anzupassen und damit auch in Deutschland weitere Brauzutaten zuzulassen.
Der Versuch Deutschlands, das Reinheitsgebot zu retten, führte vor den Europäischen Gerichtshof, der am 12. März 1987 in dem sogenannten "Reinheitsgebotsurteil" den Verkauf aller Biere in Deutschland erlaubte, die auch in anderen Mitgliedsländern verkauft werden durften. Damit war das Reinheitsgebot praktisch gekippt, auch wenn die deutschen Brauer aufgrund einer Selbstverpflichtung weiter an das Gebot gebunden blieben. Wer jedoch ein Ende der jahrhundertealten Brautradition erwartet hatte, sah sich getäuscht. Bis heute spielen Biere, die nicht nach den Vorgaben des Deutschen Reinheitsgebotes gebraut werden, auf dem deutschen Biermarkt keine Rolle. Dennoch hat sich für das deutsche Brauwesen Entscheidendes geändert. Erst seit dem "Reinheitsgebotsurteil" dürfen in Deutschland auch Biermischgetränke fertig abgefüllt in Flaschen oder Fässern verkauft werden.